Kurzversion: Selbst wenn Städte ein perfektes Velonetz anbieten, werden damit nicht automatisch mehr Kinder den Schulweg auf dem Zweirad meistern. Wenn es darum geht, die Jugend zu einem „bewegten“ Schulweg zu motivieren, sollte auch über Alternativen nachgedacht und in die entsprechende Infrastruktur investiert werden.
Link zur vollständigen Studie (Pdf).


Von grossem Medienecho begleitet, publizierte Ende März 2014 das Basler Bau und Verkehrsdepartement (BVD) die Pilotstudie „Velonutzung von Jugendlichen im Kanton Basel Stadt“. Grund für die Bestandesaufnahme war der 50-prozentige Rückgang der Velonutzung von Basler Schülerinnen und Schülern zwischen 1996 und 2010. Die Daten wurden 2012 erhoben, Auswertung und Schlussbericht liegen nun vor.
Die Autoren, Daniel Sauter (Urban Mobility Research) und Kurt Wyss (Büro für Sozialforschung) kommen zum Schluss, dass heute Jugendliche die Bequemlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel mehr schätzen als die Flexibilität des Velos.
Wer mit dem ÖV zur Schule unterwegs ist, kann sich mit andern unterhalten, SMS schreiben, Musik hören oder dank dem W-Lan-Netz der BVB gratis ins Internet. All dies ist auf dem Velo nicht möglich oder wird als zu gefährlich eingestuft.
Die soziale Komponente und die Möglichkeit zum Medienkonsum sind jedoch nicht alleine dafür verantwortlich, dass der einst heiss geliebte Drahtesel im Keller bleibt oder unter freiem Himmel vor sich hinrostet.

Basels Velowege sind nicht sicher

Routinierten Velofahrern fällt es oft gar nicht auf doch: Viele Basler Velowege, bzw. -streifen enden da, wo es erst richtig gefährlich wird. Hier ist klar die (Verkehrs-)Politik unter Zugzwang, will man die Studie nicht gleich als Makulatur ablegen. Da wo Platz vorhanden ist, sind vielfach auch Velostreifen markiert. Wo es hingegen eng wird, fehlt oft die entsprechende Signalisation. Die Folge: Velofahrer sind am ehesten bedroht, „unter die Räder“ zu kommen. Das Stadt-Basler Velonetz ist zu wenig von den Velofahrern her gedacht. Priorität hat klar der Motorfahrzeugverkehr.

Der Platz wird eng und enger

Der Strassenfahrzeugbestand in BS betrug 1994 77'806 Einheiten. 2010 waren bereits 84'209 Autos, Lastwagen und Motorräder angemeldet, das entspricht einer Steigerung von 8 %. Im selben Zeitraum ist die Zahl der Velofahrten zur Schule um 50% zurückgegangen. Zum Vergleich: Die schweizweite Zunahme an Motorfahrzeugen betrug im selben Zeitraum fast 33%! Auch wenn die Motorfahrzeug-Zuhnahme um 8% für Basel-Stadt moderat erscheinen mag berechnet man den effektiven Platzbedarf der drei Verkehrsmittel Velo / Bus / Auto, so kommt man etwa auf folgendes Resultat: velo BUS AUTO

 

 

 

 

Quelle: http://zurpolitik.com/2012/01/26/wie-viel-platz-brauchen-bus-auto-und-rad-in-der-stadt/
Jede Zunahme geht im urbanen Raum Basel-Stadt mit einer im Vergleich zu ländlichen Regionen ungleich höheren Verdichtungsrate des Strassenraums einher.

Explizit erwähnt sind die für Velofahrer befahrbaren Einbahnen, welche aber durch eine Maximierung von (versetzt angeordneten) Parkplätzen zum Spiessroutenlauf werden, da der motorisierte Gegenverkehr kaum Rücksicht auf die Velos nimmt. Es stellt sich die Frage nach Alternativen, bei denen Jugendliche sich bewegen und der soziale Austausch auf dem Schulweg nicht zu kurz kommt.

Velo oder Trotti?

In der Jugendbefragung wurde nicht unterschieden zwischen Velo und Trottinett bzw. ähnlichen Geräten. Dies ist ein gravierendes Manko der Studie, allerdings ist davon auszugehen, dass der Pilotstudie weitere Erhebungen folgen werden, die in diesem Punkt differenzierter vorgehen. Die Autoren vermuten, dass Trottinetts „noch relativ häufig in der Orientierungsschule OS genutzt wird, in den obersten Schulstufen jedoch kaum mehr.“ (S. 37, Fs. 4) Die Abnahme von „Velo“-benützern ist realiter demnach noch dramatischer als die in der Studie erwähnten 50%, da Tretroller 1994 noch nicht verbreitet waren, 2010 dagegen bereits zum Alltagsbild gehörten. Nachteilig beim Schulweg mit dem Velo ist gemäss der Studie, die meist fehlende Möglichkeit (bzw. das gesetzliche Verbot) nebeneinander zu fahren (soziale Komponente), keine Musik hören zu können, keine SMS zu schreiben und nicht im Internet surfen zu können.
Weiter spiele auch der Kostenfaktor eine Rolle: Velos sind für ein Jugendbudget weder in der Anschaffung, noch im Unterhalt ganz billig. Ist ein Velo erst mal fahruntüchtig, wird deshalb oft auf eine Reparatur verzichtet.
Ob ein Kind überhaupt Velo fährt, ist davon abhängig, ob seine Eltern es auch regelmässig tun, und ob im Quartier überhaupt die Möglichkeit gegeben ist, Velofahren zu lernen. Beide Voraussetzungen sind nicht immer erfüllt, vielfach kumulieren beide Punkte auf der negativen Seite. Fehlende oder lückenhafte Infrastruktur, sprich Radwege, tragen weiter dazu bei, dass Eltern ihren Kindern den Schulweg auf dem Velo nicht ans Herz legen.
Trottinetts sind relativ preiswert in der Anschaffung, billig im Unterhalt, wenig reparaturanfällig und lassen sich platzsparend parkieren (bspw. mit dem Trottinettständer). Mit Trottinetts kann man problemlos nebeneinander fahren und miteinander sprechen.
Trottinetts sind Freizeitgeräte, die ein kreatives Ausleben des natürlichen Bewegungsdranges erlauben, indem man mit ihnen nicht nur von A nach B fahren, sondern auch sliden, grinden, jumpen und vieles mehr anstellen kann. Die Studie nennt folgende Gründe, weshalb nicht mehr Kinder mit dem Trotti zur Schule fahren: 

  • Weil es von der Schulleitung verboten wurde.

  • Weil es mit zunehmendem Alter als uncool gilt.

  • Weil es am Schulhaus keine Möglichkeit gibt, Trottinetts ordentlich und diebstahlsicher zu parken.

Aus der Studie geht hervor, dass einige Schulhäuser entsprechende Parkvorrichtungen erstellt hätten, doch die Realität sieht leider anders aus. An vielen Schulhäusern in Basel-Stadt gilt Trottinettverbot und meist  wird dieses ganz pragmatisch begründet: Es fehlt an vernünftigen Parkmöglichkeiten. Einige Schulhäuser erlaubten zwischenzeitlich das Mitnehmen von Trottinetts in die Klassenzimmer. Doch wegen der sprunghaften Zunahme an Trottibenützern sind viele Schulstandorte aus Platzgründen dazu übergegangen, das Trottinett speziell für untere Klassen generell zu verbieten. Das Trottinett ist Opfer seines Erfolges geworden.
Wo vor zwei Jahrzehnten noch erfolgreich für die Einrichtung von Velokellern lobbyiert wurde, besteht momentan ein politisches Vakuum. Trottinetts werden als Freizeitgeräte akzeptiert, aber noch nicht als vergleichsweise kostengünstige, sichere und platzsparende Alternative für Velos im Nahverker angesehen.
Ein weiterer Pluspunkt, mit dem auch sportlich nicht besonders aktive Kinder zum einem selbständig zurückgelegten Schulweg bewegt werden können, ist die einfache Lernbarkeit des Trottifahrens. Sobald Kinder Laufen können, sind sie meist auch schon fähig, einen dreirädrigen Roller zu fahren. Wer dagegen Velofahren lernen will, muss in der Regel ein paar harte Stürze in Kauf nehmen...
Trottinetts sollen nicht gegen Velos ausgespielt werden. Das Velo ist eine geniale Erfindung und sein zweiter Siegeszug (nach der Einführung von Velostreifen im urbanen Raum) wird von den boomenden Elektrofahrrädern gerade erst eingeleutet. Das Velo ist ungleich effizienter (Gänge!), als jeder noch so gestylte Tretroller – aber: Auf dem Schulweg geht es nicht alleine um Effizienz, auch dies bestätigt die Basler Velostudie. Genau so wichtig sind das gemeinsame Erlebnis, die billige Verfügbarkeit und die Sicherheit auf dem Schulweg.


Fazit: Selbst wenn Städte ein perfektes Velonetz anbieten, werden damit nicht automatisch mehr Kinder den Schulweg auf dem Zweirad meistern. Wenn es darum geht, die Jugend zu einem „bewegten“ Schulweg zu motivieren, sollte auch über Alternativen nachgedacht und in die entsprechende Infrastruktur investiert werden.
Link zur vollständigen Studie (Pdf).